Die Besetzung der Roten Flora im November 1989 fand in einem Moment nationaler Erregung statt. Während die DDR zusammenbrach und der Taumel der „Wiedervereinigung“ auch über Hamburg schwappte, setzten Aktivist:innen Tatsachen und nahmen sich das Haus. „Die Viertel denen, die dort wohnen“ war eine Losung der Anfangszeit. Doch auch wenn unser Viertel sich seither stark verändert hat: Die Rote Flora steht in ihrer Unversöhnlichkeit auch 35 Jahre später noch da. Dies tut sie als Unruheherd, Tourist:innenmagnet und ernst zu nehmendes linkes Zentrum. Vielleicht eines der letzten besetzten Häuser.
In all den Jahren standen unsere Türen nie für alles offen. Sie waren auch immer ein Versuch, einen Schutzraum zu bieten vor der alltäglichen Repression und vor unserem Unbehagen in dieser Gesellschaft. Egal, was draußen passiert, egal, wer du bist und wie du aussiehst: Hier konnten und können wir Konzerte und Ausstellungen besuchen, diskutieren, Leute treffen,. Hier wird gestritten und gelernt, Widersprüche auszuhalten. Die Rote Flora war Ursprung / Ausgangspunkt unzähliger Projekte und Initiativen. Sie hat uns unterstützt, uns Raum geboten, schöne Abende beschert und uns auch mal verärgert. Dafür sind wir dankbar und stoßen auf sie an. Trotzdem bedeuten 35 Jahre Rote Flora auch 35 Jahre Scheitern an den eigenen Ansprüchen. Herrschaftsmechanismen wie patriarchale und rassistische Strukturen, die im Haus bestehen, müssen weiterhin hinterfragt und bearbeitet werden.
Denn wir werden Orte wie die Rote Flora in Zukunft dringend brauchen. Der Mob steht wieder in den Startlöchern. Nazis organisieren sich. Rassist:innen und Antisemit:innen sind wieder mutig. Faschist:innen hebeln demokratisch die Demokratie aus. In Europa tobt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Millionen von Menschen sind auf der Flucht vor Krieg und Armut. Und den Auswirkungen, die die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen schon jetzt mit sich bringt. Die Welt steht sprichwörtlich in Flammen. Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe!
Rechte, der Senat, Spekulant:innen und die Cops hielten die Rote Flora und ihre Besetzer:innen eigentlich immer in einer Art Verteidigungsstellung. Das ist für uns nichts Neues. Doch seit dem 7. Oktober 2023 hat sich etwas geändert: An diesem Tag ermordete, vergewaltigte und verschleppte die Hamas Bewohner:innen israelischer Kibbuzim sowie Besucher:innen eines Musikfestivals.
Nach dem größten antisemitischen Massaker seit der Shoah, am 7. Oktober 2023, machen darüber hinaus andere, vermeintlich linke Aktivist:innen gegen das Haus mobil. „Unsre Kinder wollen leben. Rote Flora ist dagegen“ so brüllen sie ihre entgrenzte Feindschaft gegen das Haus. Der Grund: Die Rote Flora hat mit einer Wandzeitung („Killing Jews is not fighting for freedom“) und Bannern (etwa „Free the World from Hamas“ und „Gegen jeden Antisemitismus“) frühzeitig und zunächst fast allein an linke Mindeststandards erinnert. Sie solidarisierte sich mit den Opfern des Massakers und erteilte jedem Antisemitismus und jeder Rechtfertigung der Taten eine klare Absage.
Die Rote Flora hegt keinerlei Sympathien für die aktuelle israelische Regierung und stellt sich einer Relativierung des Leids der palästinensischen und libanesischen Zivilbevölkerung entschlossen entgegen. Das unsägliche Leiden, das der Krieg mit dem 7. Oktober über die Zivilbevölkerung auf allen Seiten gebracht hat, muss so schnell wie möglich beendet werden. Alle Menschen in der Region sollen gut und sicher leben können! Wer sich von den oben genannten Positionierungen der Roten Flora provoziert fühlt, keine Komplexität aushalten will und nur noch im Freund-Feind-Schema denken kann, hat aus unserer Sicht zu Recht in diesem Haus nichts zu melden.
In diesem scheinbar innerlinken Konflikt geht es nicht um feinsinnige Unstimmigkeiten. Oder einen Richtungsstreit mit Leuten, denen man sich in vielem grundsätzlich einig ist. Der aktuelle Versuch einer feindlichen Übernahme der Roten Flora kommt von autoritären Gruppen. Das sind Gruppen, die eine Politik der Ausgrenzung vertreten. Sie haben mit autoritären Regimen kein Problem, beispielsweise lassen sie ihre Aktionen von russischen Propagandamedien live streamen . Sie glorifizieren antisemitische Gewalttaten und bilden Bündnisse mit islamistischen Gruppierungen. Ihr Politikstil ist geprägt von Verleumdungen, Projektionen, Umdeutungen, Feindmarkierungen.
Die Rote Flora liegt uns als streitbarer Ort zwischen Utopie, Antifaschismus, Solidarität und Subkultur am Herzen, in dem es keinen Platz für jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Antifeminismus, Ableismus und jegliches Ressentiment gegenüber der LGBTQIA+ Community geben darf. Wir wünschen uns eine Rote Flora, die schöner, lebendiger und präsenter ist. Reaktionäre und autoritäre Linke haben dort nichts verloren.
Dafür werden wir auch in Zukunft kämpfen!
Rote Flora im Oktober 2024