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Spaceballs in Danger Zone – Die Hamburger Polizei zwischen intellektueller Krise und autoritärer „Bürgernähe“

Am 5. April 2018 hat sich der G20-Sonderauschuss der Hamburger Bürgerschaft mit den Geschehnissen des 4. Juli 2017 befasst. Dies ist der Dienstag vor dem G20-Gipfel, an dessen Abend ein „Massencornern gegen G20“ stattgefunden hat. Richtigerweise wird diesem Abend eine prägende Wirkung für die darauf folgenden Gipfeltage zugeschrieben. Die immer wieder geäußerte Vermutung, der Polizei sei es an jenem Abend vor allem darum gegangen, vor dem Gipfel noch mal die Kräfteverhältnisse auf der Straße zu demonstrieren, findet in der Ausschusssitzung insofern Bestätigung, als das mehrfach erklärt wird, man dürfe die Demonstrierenden nicht durch inkonsequentes Handeln weiter ermutigen. Die Ausführungen der Polizeivertreter über Protestierende wirken an diesen Stellen, als sprächen Eltern mit antiquierten pädagogischen Vorstellungen über ihre Kleinkinder.
Gleichzeitig zeigt die Ausschusssitzung, wie wenig man auch ein Dreivierteljahr nach dem Gipfel bei der Polizei bereit oder in der Lage ist, den eigenen Beitrag zu ihrem G20-Desaster zu reflektieren. Da wird noch zu jedem gewaltsamen Vorgehen gegen Proteste ein legaler Vorwand gefunden, und sei es die Sicherung nicht vorhandenen Verkehrs. „Selbstkritisch“ werden Koordinierungsprobleme detailliert geschildert, Fragen nach der Sinnhaftigkeit des zu Koordinierenden jedoch routiniert als unqualifiziert abgetan oder als politischer Angriff auf „die Polizei“ empört zurückgewiesen.
So erreicht denn wohl der Sonderausschuss den vom Senat beabsichtigten Zweck:
Die Polizei findet eine Bühne, um ihre Version der G20-Geschichte beständig zu wiederholen und so ihre „Wahrheit“ zu etablieren. Eine Erzählung, die den politischen Kontext konsequent ausblendet und deren Handlung ihre vollständige Deutung im heroischen Kampf der Hamburger Polizei gegen das Böse in Gestalt des „Straftäters“ findet. Die vordergründige Bereinigung um alle politischen Aspekte lässt nicht zufällig den Senat aus dem Fokus der Aufmerksamkeit rücken.
So erscheint es denn unwahrscheinlich, dass der Sonderausschuss Grundlage einer grundsätzlichen Debatte sein könnte über Rolle und Selbstverständnis der Hamburger Polizeiführung. Deren erheblicher Anteil an der G20-Eskalation ist Ausdruck und vorläufiger Höhepunkt eines seit Schill-Zeiten kultivierten autoritären Auftretens gegenüber politischen Protesten, das angesichts zunehmender rechtsreaktionärer gesellschaftlicher Tendenzen und vieler Verletzter sich nicht mehr als Stilfrage abhandeln lässt.

Der Verlauf des „Massencornerns“ erscheint dafür symptomatisch. Mehrere tausend Menschen wollen an diesem Abend gegen den G20-Gipfel protestieren, indem sie in Schanzenviertel und St.Pauli öffentlich Getränke konsumieren. Der politische Ausdruck ist zunächst eher subtil. Uneingeweihte werden sich wohl allenfalls gefragt haben, warum der typische Wochenendbetrieb an einem Dienstagabend unter Hubschrauber-Getöse stattfindet. Mag der G20-Bezug des Cornerns auch etwas unscharf sein, ist es doch untrennbar verbunden mit Aneignung städtischen Raums und Interessenskonflikten in diesem. (So erweist sich regelmäßig der fließende Übergang zum gepflegten Kiosk-Besäufnis als nicht unproblematisch für die Anwohnenden.) Die im Alltag eher beiläufig zelebrierte Cornerei entwickelt im Angesicht der seit Tagen aufgeführten G20-Sicherheitsshow an diesem Abend ungeahntes subversives Potential. Entschlossene Gelassenheit und expressiver Egalitarismus treffen auf die ihr Revierverhalten auslebenden Gewaltmonopolisten der Hamburger Bereitschaftspolizei und ihren an diesem Abend bereits zahlreich aus anderen Bundesländern angereisten polizeilichen G20-Gästen.
Nachdem diese sich den Tag über die Zeit vertreiben mit Übungen zum Wenden von Fahrzeugkolonnen in verstopften Straßen und sich den dafür benötigten Stau kurzerhand selbst erzeugen durch wiederholtes „Aufstoppen“ des Berufsverkehrs in der Stresemannstraße, steht gegen Abend die Suche nach Aufbaugegnern für die erwarteten Auseinandersetzungen der folgenden Tage im Vordergrund. Ein improvisiertes Protestcamp im Gählerspark wird entschlossen weggeboxt und die sich als Reaktion darauf formierende Spontan-Demo mit Schlagstockeinsatz gleich mit weggehauen. Am Neuen Pferdemarkt kommt es schließlich zur Konfrontation der G20-Truppen mit den cornernden Massen.
Die Polizei fährt scheinbar alles auf, was zu diesem Zeitpunkt bereits in die Stadt geschafft wurde. Bald kommt der Verkehr rund um den Neuen Pferdemarkt zum Erliegen. Unklar bleibt, ob es sich um beabsichtigte Straßensperrungen handelt oder ob die Straßen einfach durch die Masse der parkenden Polizeifahrzeuge blockiert sind.
Über Stunden versucht die Armada rauflustiger Polizisten, größtenteils vergeblich, Probanden in ihre Straßenkampfübungen zu involvieren. Mit irritierender Ausdauer werden Menschen, die die leeren Straßen betreten, immer wieder energisch und teilweise unsanft zurück auf den Gehweg geschickt. Die Polizei wirkt ratlos angesichts des Befundes, dass die cornernde Masse schwerlich anders kann als einen derart artikulierten Herrschaftsanspruch über den öffentlichen Raum unaufgeregt zurückzuweisen. Wiederholte Rufe aus der Menge, die sich gegen die zu diesem Zeitpunkt schon viele Tage andauernde Belagerung des Viertels richten, scheinen die Polizei eher noch anzuspornen, durch vorziehen der Ketten weitere entscheidende Quadratmeter Geländegewinn zu realisieren. Im weiteren Verlauf des Abends werden die Fahrbahnen des Neuen Pferdemarkts mehrfach unter Wasserwerfereinsatz geräumt und unmittelbar im Anschluss wieder von den trinkenden Massen geflutet. Obwohl die Fahrbahnen an den Randbereichen des weitläufigen Neuen Pferdemarkts passierbar bleiben, lassen sich einige Polizeitransporter den direkten Weg mit „Einsatzhorn“ durch die Menge nicht nehmen. Das betont gelassene Zurückweichen der Versammelten wird quittiert mit zusätzlichem Hupen und aggressiver Pöbelei. Von den hinteren Sitzen aus schlagen beamtete Wutköpfe von innen ihre Fäuste gegen die Autoscheiben.

Das Bild der Staatsmacht als rollender Affenkäfig im Testosteronrausch bleibt hängen – und mit ihm die Frage: „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“? Oder vielmehr legitime Zielscheibe des gesellschaftspolitischen Fortschritts in einer westeuropäischen Großstadt im Jahr 2017? Dass die Sicht zehntausender Demonstrierender und die der Hamburger Exekutive darauf so eindeutig wie gegensätzlich ausfallen, zeigt einmal mehr, wie wenig man in der selbsterklärten Weltstadt in der Lage ist, das Phänomen „G20-Gipfel“ jenseits von organisatorischen und rechtlichen Fragen als gesellschaftspolitisches Ereignis zu erfassen.
Selbst Monate nach dem Gipfel verharrt das Abstraktionslevel der „Aufklärung“ im Versuch des Nachvollziehens von Flugbahnen einzelner Flaschen.
Nicht diskutiert wird, was es für die Ausgangslage der Gipfelproteste bedeutet, wenn sich die Polizei Tage vor dem Gipfel durch ein gerichtlich genehmigtes Protestcamp prügelt, dessen Existenz sie nicht hinzunehmen bereit ist. Wenn die Polizei nicht gegen die gerichtliche Aufhebung ihres Auflagenbescheids in nächster Instanz vorgeht, sondern in einem Akt „rechtstaatlicher“ Idiotie kurzerhand einen neuen, inhaltlich identischen Bescheid erlässt. Wenn darauf in einer konzertierten zivilgesellschaftlichen Reaktion das Protest-Campen kurzfristig unter weiter anhaltenden polizeilichen Schikanen in die Innenstadtviertel auf Kirchen- und Privatgrundstücke verlegt wird. Wenn anreisende Protestierende zu Tausenden in Hamburger Wohnungen unterkommen, deren angestammte Bewohner*innen unter dem Eindruck wochenlanger polizeilicher Belagerung ihrer Wohnviertel und unablässigen Hubschrauber-Dröhnens stehen.
Dabei beginnt die Polizei Monate vor G20 sich hinter Natodraht zu verbarrikadieren, vom „Auspacken des gesamten deutschen Polizeiequipments“ zu phantasieren und in steigender Frequenz neue Bedrohungszenarien zu verbreiten, denen sie flächendeckende Grundrechtseinschränkungen entgegenzusetzen gedenkt. Wohl allenfalls eine ergebnisoffen geführte Debatte um Trennung von Amt und Testikel in der Polizeiführung hätte eine G20-Eskalation da noch abwenden können, die zu dieser Zeit der einzige Realitätsbezug der Einsatzleitung zu sein scheint.
Die Stürmung des genehmigten Camps in Entenwerder, das eskalierte Vorgehen gegen alle Versuche, Schlafplätze für auswärtige Demonstrierende zu schaffen – wie z.B. im Gählerspark –, die absurden Machtdemonstrationen beim “Massencornern”, der Angriff auf die “Welcome to Hell”-Demo und die am frühen Morgen des Freitags in einem verlassenen Gewerbegebiet am Rondenbarg von der Kette gelassenen Schergen der Bundespolizei zeigen, dass gezielte Gewaltanwendung gegen Protestierende, wenn nicht polizeiliche Strategie, so doch offensichtlich bevorzugte taktische Option ist. In jedem Fall bedeutet es eine groteske Fehleinschätzung der Bereitschaft der anreisenden Aktivist*innen aus ganz Europa sich von deutschen Polizisten verprügeln zu lassen. Ein Bewusstsein für die Brisanz, sich in diesen Tagen als Repräsentanten des Schäuble-Staates offensiv zu exponieren, ist nicht erkennbar.

Die gern zitierte Metapher vom „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ wirft nicht nur ein Licht auf Ausmaß und Qualität des polizeilichen Versagens während des G20. Gleichzeitig offenbart sie auch ein bemerkenswertes Verständnis öffentlicher Wahrnehmung polizeilichen Handelns, das die Beobachtenden stets sicher durch eine (Bildschirm-)Scheibe vom Geschehen getrennt wähnt. Ziel der polizeilichen Maßnahmen wären in dieser Logik immer irgendwelche „Anderen“, die sich diese Form staatlicher Zuwendung schon irgendwie verdient haben werden. Wer mit dieser Prämisse einen Polizeieinsatz plant, kann wohl kaum einen ungeeigneteren Austragungsort wählen als Altona und St. Pauli und lässt nebenbei durchblicken, das Gefahrengebiete-Desaster von Anfang 2014 bis heute nicht verstanden zu haben.
In den Nach-G20-Kommentaren wird ausgiebig über die Ursachen der offensichtlichen starken Ablehnung der Polizei in der lokalen Bevölkerung spekuliert und was das wohl aussage über die Zeiten, in denen wir leben. Vermutlich ist das zu G20 diesbezüglich Beobachtete jedoch eine lokalspezifische Ausprägung, vor allem begründet in drei Wochen Hubschrauber-Dröhnen und dem seit fünfzehn Jahren andauernden Versuch der Hamburger Polizeiführung, den öffentlichen Raum Altonas und St. Paulis unter ihre Kontrolle zu bekommen. Dieses 2002 unter CDU/Schill/FDP-Regierung gestartete und als „Hamburger Linie“ bekannte Projekt wird seitdem auch unter SPD- bzw. rot-grüner Regierungen fortgeführt und sorgt in seinem Kampf gegen alles, was irgendwie als kritisch oder gar widerständig öffentlich sichtbar wird, zuverlässig für medial verwertbare Bilder von Polizeieinsätzen. Aufbereitet durch Abendblatt und Hamburg Journal, kommt auf den Wohnzimmersofas der Hamburger Vororte wohl auch das gewünschte Narrativ an: „Hier wird Ordnung geherrscht!“.
Aus der Nahperspektive haben die Einsätze der Hamburger Polizei in den „üblichen Vierteln“ jedoch auf viele Anwesende eine völlig andere Wirkung. Die seit Schill-Zeiten zunehmend martialischer inszenierten Auftritte stehen oft im krassen Gegensatz zu den meist völlig harmlosen Anlässen. Selbst kleine Gruppen von Menschen, die strafrechtlich völlig unkritische Forderungen artikulieren, werden zuverlässig von eilig aus Alsterdorf in Überzahl herbei gefahrenen Behelmten in Kampfmontur bedrängt. So wird jeder öffentlich artikulierte Dissens in einen Kontext von Kriminalität und Gewalt gesetzt.
Verstärkt wird diese Wirkung durch die Gestaltung von Kleidung und Ausrüstung der Polizei, die einen autoritären Dominanzanspruch zum Ausdruck bringt, der in der sozialen Wirklichkeit der Viertel keine Anknüpfungspunkte findet und deshalb unerfüllt und karikaturhaft bleibt. Der erste neue Wasserwerfer der Hamburger Polizei war einige Monate lang eine Attraktion wie ein neuer Elefantenbulle in Hagenbecks Tierpark. Heute ist er alltäglich wie ein Müllwagen, lästig wie ein Bierbike und geschmacklos wie ein SUV. Die zahlreichen Auftritte des Alsterdorfer Darth Vader-Fanclubs wirken wie ambitioniert kostümierte Junggesellenabschiede auf Koks und erfahren entsprechendes Sozialprestige. Zu größeren Anlässen verströmt die Pferdestaffel das vom Publikum bereits gewohnte und erwartete Zirkus-Flair.
Hinzu kommt eine sich in den letzten Jahren herausgebildete Praxis (zB. an der Flora oder am Hafengeburtstag), dass insbesondere polizeikritische Transparente und Schriftzüge, die jeder gerichtlichen Überprüfung als zulässige Meinungsäußerung standhalten würden, von der Polizei ohne viel Aufhebens entfernt oder übermalt werden. Das selbstherrliche und „autonome“ Agieren der Polizei steht dabei im absurden Kontrast zum fast weinerlich eingeklagten Respekt vor dem staatlichen Gewaltmonopol, dessen staatstheoretische Grundlagen bei der Hamburger Polizei zunehmend in Vergessenheit zu geraten scheinen.
Kein Jahr nach dem Gipfel wird einer der hauptverantwortlichen Polizisten für das G20-Desaster zum Leiter der neu strukturierten „Schutzpolizei“ befördert. Seine Berufsauffassung entspricht eher der eines bewaffneten Sachwalters autoritärer feuchter Träume denn der eines Beamten mit Verantwortung für einen politisch heiklen Teil der Exekutive. Kritische Haltungen innerhalb der Polizei sind ihm so unerträglich, dass ihm Dienstaufsichtsbeschwerden wegen belangloser Aprilscherze verhältnismäßig erscheinen. Dass diese Wahl seitens des Senats damit begründet wird, man habe keine geeigneteren Kandidat*innen finden können, lässt auf ein umfassenderes Problem schließen, dass sich nicht an einzelnen Personen festmachen lässt.
In Zeiten von Trump, AfD und reaktionär-nationalistischem Aufbegehren innerhalb der EU ist es umso notwendiger, jedem Versuch autoritäre gesellschaftliche Standards zu etablieren robust entgegenzutreten.

St. Pauli bleibt Gefahrengebiet.
Task Force in die Elbe.

Plenum der Roten Flora vom 16.05.18

Rote Flora
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