I. Wieder im Brennpunkt
Die Rote Flora existiert seit 1989 als besetztes politisch-kulturelles Zentrum. In den 21 Jahren ihres Bestehens gab es immer wieder Phasen, in denen der Versuch einer gewaltsamen Beendigung des Projektes durch die Stadt unmittelbar bevorzustehen schien. Doch während sieben Innensenatoren kamen und wieder gingen, ist die Rote Flora geblieben.
Seit Anfang 2010 wird nun wieder öffentlich über eine mögliche Räumung spekuliert. Wir spekulieren nicht. Fest steht: Im März 2011 laufen einige Klauseln des Vertrages aus, mit dem die Stadt 2001 das Gebäude der Flora an den Investor Klausmartin Kretschmer verkauft hat. Ein Weiterverkauf des Gebäudes bedarf dann nicht mehr einer Zustimmung der Stadt. Ebenso kann mit städtischem Einverständnis die Nutzungsfestschreibung als selbstverwaltetes Stadtteilkulturzentrum aufgehoben werden.
Wir begreifen diese Situation weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als Chance, die Rote Flora in den bevorstehenden Auseinandersetzungen um ihre Zukunft zu einem Kristallisationspunkt in den politischen Kämpfen um ein Recht auf Stadt zu machen. Fest steht deshalb auch: Wir werden uns weder freiwillig räumen lassen noch Verhandlungen über eine Legalisierung des Projekts führen.
Stattdessen werden wir in einer Stadt, die immer mehr Räume der Verwertungslogik unterwirft und die alle, die dabei nicht mitspielen wollen oder können, an den (Stadt-)Rand drängt, weiterhin Störfaktor bleiben. Denn uns geht es nicht in erster Linie um die Mauern des Hauses, sondern um die Rote Flora als politische Idee und als widerständiges Projekt, mit dem wir unser Begehren nach radikaler gesellschaftlicher Veränderung in politische Interventionen umsetzen können.
II. Die fabelhafte Welt der Autonomie
Die Rote Flora ist kein Schrebergarten-Verein: Wir haben keine festgelegten Statuten, auf die wir uns selbst festnageln. Was die Flora ist, wie sie funktioniert und welchen Kurs wir einschlagen, bestimmen alle, die das Projekt nutzen, gemeinsam. Und da immer wieder neue Leute dazu kommen und andere irgendwann wieder gehen, befinden wir uns beständig in Aushandlungsprozessen.
Seit wir vor 21 Jahren die Flora gekapert haben, ist sie ein Laboratorium für Gegenentwürfe zur kommerziellen Verwertung des öffentlichen Raumes: Keine und keiner, die oder der die Flora nutzt, muss dafür Geld bezahlen. Gleichzeitig kann auch niemand in der Flora Geld verdienen. Profit gibt es im Projekt nicht: Alle Einnahmen, die über die Ausgaben für Strom, Heizung, Wasser, Müll- und GEMA-Gebühren sowie Baumaterialien für die Instandhaltung des Gebäudes hinausgehen, fließen in politische Projekte. Was in der Flora stattfindet, hängt nicht davon ab, wie viel Geld es einbringt, sondern allein davon, was wir inhaltlich gut und richtig finden.
Genauso versuchen wir uns darin, in der Flora Gegenentwürfe zu den hierarchischen und diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen, in denen wir leben, umzusetzen: Alle für das Projekt grundlegenden Entscheidungen werden von allen Nutzer_innen gemeinsam auf Vollversammlungen im Konsens getroffen. Prinzipiell haben hier alle das gleiche Mitspracherecht. Weniger grundlegende Entscheidungen werden im wöchentlichen Flora-Plenum getroffen, zu dem alle Gruppen, die die Flora aktiv nutzen, Delegierte schicken können.
Darüber hinaus achten wir gemeinsam darauf, dass rassistisches, nationalistisches, sexistisches, homophobes oder antisemitisches Verhalten im Haus thematisiert, kritisiert und unterbunden wird. All diese Ansprüche werden ständig und mit wechselndem Erfolg dem Praxistest unterzogen. Dabei ist uns bewusst, dass auch wir Teil der gesellschaftlichen Strukturen sind, die wir überwinden wollen – auch die Flora kann kein so genannter „Freiraum“ sein, frei von gesellschaftlichen Zwängen und Machtverhältnissen.
Wichtig ist uns, dass in der Flora Partys, Konzerte, Theateraufführungen und Lesungen genauso stattfinden wie politische Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Kongresse und Workshops. Es gibt Räume für Treffen von politischen Gruppen, das Archiv der sozialen Bewegungen, eine vegane Volxküche, Bandproberäume, eine Siebdruckwerkstatt, ein Künstler_innen-Atelier, eine Motorrad- und eine Fahrradselbsthilfewerkstatt, einen Bau- und einen Sportraum. Dabei ist Kultur in der Flora immer eingebunden in politische Strukturen.
Alle Versuche, die „kreativen Kulturschaffenden“ und ihre angesagten Veranstaltungen von den „autonomen Kapuzenträgerinnen“ und ihren radikalen politischen Positionen zu trennen, laufen ins Leere – Politik und Kultur haben in der Flora viele Gesichter, oftmals gehören sie zu denselben Personen.
Die Flora befindet sich in all ihren Facetten beständig in Bewegung. Und alle, die die beschriebenen Ansätze in ihren Grundzügen mit uns teilen, sind eingeladen, daran mitzuwirken und die Dinge weiterzuentwickeln.
III. Eine kurze Geschichte der Intervention
Es reicht uns nicht, mit der Roten Flora einen auf sich selbst gerichteten Erprobungsraum für alternative Organisationsformen und Lebensentwürfe zu betreiben. Nicht in der Schaffung von „Freiräumen“ besteht für uns die Perspektive des Projekts, sondern im Kampf gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns in solche Nischen zwingen. Dabei hat insbesondere die Auseinandersetzung mit der Aufwertung des Schanzenviertels stets einen lokalen Bezugspunkt dargestellt, der uns über die Jahre immer wieder zur Überprüfung der eigenen Positionen und politischen Neuausrichtung herausgefordert hat.
Phantom der Piazza
Ende der 80er Jahre ist die Flora aus dem erfolgreichen Widerstand gegen das geplante Musicalprojekt „Phantom der Oper“ auf dem Schulterblatt hervorgegangen: Viele Anwohner_innen und politische Initiativen wehrten sich gegen eine befürchtete Aufwertung und daraus resultierende Verdrängung im Stadtteil. Nach zahlreichen politischen Aktionen und militanten Anschlägen gegen die Baustelle nahm der damalige Investor schließlich entnervt den Hut und die Rote Flora entstand auf den Fundamenten des alten Flora-Theaters.
Die Existenz der Roten Flora stellt insofern einen Erfolg im Kampf gegen die Umstrukturierungspolitik der 80er Jahre dar. Dennoch setzte ab Mitte der 90er Jahre ein Aufwertungsprozess im Schanzenviertel ein, wie er heute unter dem Stichwort Gentrifizierung diskutiert wird: Der wesentliche Unterschied zur Umstrukturierung von oben besteht darin, dass die lokale Alternativkultur nun selbst als Motor dieses Prozesses fungierte, indem sie den Stadtteil belebte und für eine weitergehende Verwertung erschloss.
Dies wurde auch von der Stadtentwicklungspolitik erkannt, die nun auf kleinteiliges Quartiersmanagement setzte, bei dem das Stadtteilgeschehen behutsam aufgegriffen und durch stadtentwicklungspolitische Maßnahmen im Sinne von Wettbewerbsorientierung und Standortpolitik ergänzt wurde. Die befürchteten Mietsteigerungen sowie die Vertreibung von Anwohner_innen und der Austausch der Gewerbestruktur wurden auf diese Weise Wirklichkeit.
Auch die Flora ist wider Willen selbst zum Teil der Gentrifizierungsentwicklung geworden: Als Aushängeschild lässig-alternativer Stadtteilkultur kann ihr pittoreskes Abbruchambiente prima als authentische Hintergrundkulisse zum Galão konsumiert werden. Allerdings hat das Projekt dazu beigetragen, dass das Bewusstsein für Gentrifizierung und die Kritik daran im Schanzenviertel größer sind als in anderen Teilen der Stadt, die von ähnlichen Prozessen betroffen sind.
Partizipationsverfahren „Ausgrenzung und Vertreibung am Schulterblatt“
Ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre fanden die mit dem Gentrifizierungsprozess verbundenen Formen der Integration von Alternativkultur ihre Ergänzung in verstärkter Repression und Überwachung sowie der Privatisierung öffentlicher Räume, wie z.B. des Wasserturms im Schanzenpark oder der Gehwege vor den Restaurants, Cafés und Kneipen. Die Strategie der Stadtentwicklungspolitik zielte zum einen darauf ab, möglichst viel Akzeptanz und Kooperation bei Bewohner_innen und Geschäftsleuten im Viertel zu gewinnen und diese selbst zum Teil des Aufwertungs- und Umstrukturierungsprozesses zu machen.
So war 1999 bei der Planung der Umgestaltung des Schulterblatts zur Piazza das Engagement der Bürger_innen durchaus gewollt, ohne dass allerdings der Bau einer Konsum- und Castingmeile grundsätzlich zur Diskussion gestanden hätte. Partizipiert werden sollte in Detailfragen wie der Straßenbeleuchtung, ganz nach der Devise: Wie hätten Sie‘s denn gerne? Kaiser-Wilhelm-Laterne oder Ludwig-Erhard-Leuchte? Zum anderen sollten gleichzeitig all diejenigen verschwinden, die nicht mehr in das Bild eines attraktiven Vergnügungs- und Konsumviertels Schanze passten.
Dazu zählten vor allem Konsument_innen illegalisierter Drogen, Obdachlose und Schwarze Menschen, die aufgrund der rassistischen Gleichsetzung „schwarz = Dealer“ pauschal kriminalisiert wurden. Gegen sie etablierte sich ab Ende der 90er Jahre eine ausgrenzende, vielfach auch rassistische Stimmung und eine polizeiliche Vertreibungspolitik, die auch von einem Großteil der Viertelbewohner_innen unterstützt wurde.
Die Rote Flora hat dieses Zusammenspiel von Integration und Partizipation auf der einen und Ausgrenzung und Vertreibung auf der anderen Seite stets kritisiert – auch gegen die Mehrheit der Anwohner_innen: Wir haben inhaltlich und praktisch gegen die rassistischen Polizeikontrollen und die verfehlte Drogenpolitik des Senats interveniert und uns den von städtischer Seite einberufenen Runden Tischen verweigert.
Auch wenn wir dadurch Aufwertung, Ausgrenzung und Vertreibung nicht aufgehalten haben, konnten wir doch die Widersprüche in diesen Entwicklungen bloßstellen und dazu beitragen, dass sie nicht reibungslos über die Bühne gingen.
Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen
Als im Vorwege des Bürgerschaftswahlkampfes 2001 der Bezirk Altona Vertragsverhandlungen zum Zweck einer Legalisierung des Projekts anbot, entschieden wir nach intensiver Diskussion im Projekt auf einer Vollversammlung, jede Art von Vertrag und Vertragsverhandlungen klar abzulehnen – selbst wenn das den Versuch, die Flora zu räumen, bedeuten könnte. Für diese Entscheidung gab es zwei Hauptgründe: Zum einen bietet der Besetzt-Status der Flora Handlungsspielräume, die ansonsten schon aufgrund von juristischen und ökonomischen „Sachzwängen“ ausgeschlossen sind. Darüber hinaus vervielfältigt er Möglichkeiten, immer wieder die geltenden politischen Spielregeln zu übertreten und Brüche in der herrschenden Ordnung zu produzieren.
Zum anderen wurde schnell deutlich, dass die Legalisierung eine Befriedung des Projekts zum Ziel hatte, indem die Flora als Kulturzentrum integriert und ihre politischen Inhalte verdrängt werden sollten. Mit der Ablehnung von Vertragsverhandlungen konnten wir öffentlich ein deutliches Zeichen gegen das Zusammenspiel von Integration und Ausgrenzung setzen. Unmittelbar nachdem wir diese Position öffentlich machten, wurde das Gebäude vom rot-grünen Senat an Investor Klausmartin Kretschmer verkauft.
Wollte die Regierung das Thema Flora aus dem Wahlkampf nehmen, gab es für Kretschmer eine immobilienwirtschaftliche Sahneschnitte in bester Lage. Entgegen seiner Selbststilisierung als uneigennütziger „Mäzen“ bewegt er sich zwischen anthroposophischem Wahn und gutsherrenartiger Geschäftstüchtigkeit. Ein Beispiel sind die dreisten Versuche, die Mieter_innen des Brandshofes aus ihren Wohnungen und Ateliers zu vertreiben. Auch das öffentliche Spekulieren über einen Weiterverkauf der Flora dient dazu, seine Interessen in Position zu bringen. Kretschmer scheint dabei nach wie vor zu verkennen, dass die Flora ein Pulverfass sein kann, an dem mensch sich nicht nur die Finger verbrennt, sondern das einem beizeiten durchaus auch um die Ohren fliegen kann. Dennoch steht seine undurchsichtige Personalie für uns nicht im Mittelpunkt.
Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass der Verkauf des Hauses nichts am Status Quo ändert: Das Projekt Flora ist unverkäuflich, das Gebäude nach wie vor besetzt und der wesentliche Konflikt besteht zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Allerdings ist es uns in der Folgezeit nur sehr bedingt gelungen, die Scharade der Stadt, einen politischen Konflikt zu privatisieren, zum Ausgangspunkt politischer Auseinandersetzungen um ein Recht auf Stadt zu machen.
In den letzten Jahren wurden der Besetzt-Status des Gebäudes und sein linksradikales, autonomes und obrigkeitsfeindliches Innenleben von der Stadt geduldet und über linke Kreise hinaus akzeptiert. Einerseits ist dies ein Erfolg unserer Kämpfe um die Rote Flora; und zwar nicht nur ein Erfolg für das Projekt selbst, sondern vor allem auch für eine Veränderung der öffentlichen Diskussion über die Legitimität und Durchsetzbarkeit von politischen Akten der Aneignung wie Hausbesetzungen. Andererseits erhöht diese Akzeptanz auch die Gefahr einer Vereinnahmung und Entpolitisierung der Flora.
IV. Zwischen dagegen und dabei
Die Ambivalenz, zwischen Störfaktor und Standortfaktor zu changieren, ist nicht allein der Roten Flora vorbehalten: In Hamburg vollziehen derzeit viele Projekte, Räume und Aktionsformen, die sich kritisch im Radius von Politik und Kultur bewegen, einen (unfreiwilligen) Spagat zwischen dagegen und dabei sein.
Kämpfe um ein Recht auf Stadt
Unter dem Banner Recht auf Stadt startete im Sommer 2009 eine Vernetzung unterschiedlichster Initiativen, die sich im weiten Feld der Kämpfe gegen die Zumutungen Hamburgischer Standort- und Stadtentwicklungspolitik verorten. In kürzester Zeit entwickelte sich aus der Kräftebündelung heterogener Gruppen und Projekte eine Bewegung, die zu einem beachtlichen politischen Faktor in den aktuellen Auseinandersetzungen um Stadt geworden ist. Katalysatoren dieser Entwicklung bildeten zum einen die Aneignung und Öffnung ungenutzter und/oder von Verkauf und Abriss bedrohter Räume (u.a. Centro Sociale, Frappant, Gängeviertel), zum anderen Abwehrkämpfe gegen Umstrukturierungsprojekte (bspw. Moorburgtrasse, IKEA in Altona, Bernhard-Nocht-Quartier).
Die Rote Flora ist von Beginn an Teil von Recht auf Stadt und solidarisiert sich mit den politischen Projekten, Mobilisierungen und Aktionen aus diesem Zusammenschluss. Eine besondere Herausforderung sehen wir dabei in der Frage, wie das Netzwerk seine Popularität politisch nutzen kann, ohne dabei – wider Willen – selbst zum protestkulturellen Standortfaktor einer Marke Hamburg zu werden.
Feindliche Umarmung: Kreative Stadt Marke HH
Der bemerkenswert große Erfolg von Recht auf Stadt ereignet sich – womöglich nicht ganz zufällig – vor einem stadtpolitischen Hintergrund, der auf Senatsebene durch das Aufpeppen altbackener Prinzipien (autoritäres Durchregieren, Fokussierung auf Unternehmensbelange, Privatisierung und soziale Polarisierung) mit dem GAL-Konzept der „Kreativen Stadt“ gekennzeichnet ist. Deren Credo lautet: „Der wirtschaftliche Erfolg von Metropolen hängt zukünftig vor allem von der Kreativität ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ab.“ Alle sind aufgefordert, ihre diversen Talente zu aktivieren und sich als „Humankapital“ dem Standort anzudienen.
Längst zu einer Binsenweisheit geworden ist, dass im „Wettbewerb der Metropolen“ auch weiche Standortfaktoren wie „die Vorzüge von Vielfalt und Verschiedenartigkeit“ (GAL) von Bedeutung sind. In aufwendigen Studien werden im Stadtgebiet „Kreativ-Milieus“ ausfindig gemacht, während Hamburg an der Selbstinszenierung als „Kulturmetropole“ bastelt. Die Begeisterung für Kreativität und „Kultur als Wirtschafts- und Imagefaktor“ schlägt sich nicht nur in klotzigen Großprojekten à la Elbphilharmonie nieder, sondern auch in der Reklame für eine subkulturelle „‚Hamburger Szene‘ mit ihren Musikclubs, einer kreativen Off-Szene und Kleinkunst“ (Hamburg Marketing GmbH).
Verwertbare Alternativkultur und gezähmte Subversion werden heute als wertvolle Standortfaktoren gehandelt, deren prekärer Glamour der bislang noch etwas unsexy daherkommenden „Marke Hamburg“ neue Strahlkraft verleihen soll. Das Paradigma der Kreativität und Selbstaktivierung bzw. ‑vermarktung ist – längst nicht nur in der Hansestadt – derart wirkmächtig, dass es uns unabhängig von den jeweiligen Senats-Zusammensetzungen noch einige Jahre belästigen dürfte.
Not in our game!
Die Empörung über die Beschlagnahmung von Subkultur als Standort- und Imagefaktor war Ausgangspunkt und Inhalt des Manifests Hamburger Kulturschaffender „Not in our name, Marke Hamburg“, das erhebliche Medienöffentlichkeit für die Anliegen von Recht auf Stadt erzeugte. Dass es vom angesagten Feuilleton- und Talkshow-Thema jedoch nur ein kleiner Schritt zur versuchten Vereinnahmung kritischer Stimmen sein kann – so schreibt z.B. die Hamburg Marketing GmbH im April 2010 von spezifisch hanseatisch eleganter und intelligenter Art des Protests, sieht gar eine „neue Hamburger Schule“ – wird innerhalb des Recht auf Stadt-Netzwerks (selbst-)kritisch reflektiert.
Nicht zu übersehen ist außerdem, dass der öffentliche, mediale Hype die neue, kreative Protest-Kultur betont abgrenzt von als illegitim und altmodisch klassifizierten Widerstandsformen. Auf diese Weise wird ein Gegensatz aufgemacht zwischen innovativem und ewig gestrigem Protest, Federn und Steinen, Künstlern und Halbstarken. So soll widerständiges Potenzial sortiert werden in einen integrierbaren Teil, der sich trotz (oder wegen) Prekarität als Standortfaktor vermarkten lässt, und einen nicht integrierbaren, nicht verwertbaren Teil, der die volle Härte des Polizeiknüppels zu spüren bekommen soll.
Ein solidarischer Umgang innerhalb der vielseitigen Bewegung gegen die Hamburger Standort- und Stadtentwicklungspolitik, klare Absagen an jeden Versuch, verschiedene Aktionsformen gegeneinander auszuspielen sowie offene Auseinandersetzungen über Inhalte, Strategien, Bündnispartner etc. haben die Vereinnahmungs- und Spaltungsversuche scheitern lassen und werden weiterhin dafür sorgen, dass Recht auf Stadt viel mehr ist als buntes Dekor der „Kreativen Stadt“.
V. In Bewegung bleiben
Die Kreative Stadt Marke Hamburg lebt davon, sich Formen von Protest und Alternativkultur, die sich nicht schnell genug bewegen, einzuverleiben. Daher kann für uns die Perspektive des Projektes Rote Flora nicht darin bestehen, die Sportschuhe gegen Pantoffeln einzutauschen und es sich im scheinbaren „Freiraum“ gemütlich zu machen. Stattdessen gilt es, unkontrollierbar in Bewegung zu bleiben und sich immer wieder neu widerständig auszurichten, um als Störfaktor die Koordinatensysteme der Stadtplaner_innen, Polizeipräsident_innen, Investor_innen, Verwaltungsfachangestellten und Mediator_innen in Unordnung zu bringen.
Flora bleibt Störfaktor!
Dazu werden wir weiterhin die Unverschämtheit kultivieren, mit der wir uns 1989 das alte Flora-Theater unter den Nagel gerissen haben – ohne irgendjemanden zu fragen. In Hamburg sind genügend Räume da zum Wohnen und Arbeiten, für Kultur und Politik und genügend Güter für ein schönes Leben für alle. Doch weil es der Kapitalismus aufgrund seiner eigenen Betriebslogik niemals hinbekommen kann, Ressourcen und Räume für alle zugänglich zu machen, müssen wir das selbst erledigen. Dass kollektive Aneignungspraktiken nicht nur legitim, sondern auch politisch durchsetzbar sind, dafür ist und bleibt die Rote Flora als seit 21 Jahren besetztes Zentrum ein unübersehbares praktisches Exempel.
Aber nicht nur der herrschenden Eigentumsordnung, auch dem reibungslosen Zusammenspiel von Integration und Ausgrenzung wollen wir weiterhin in die Quere kommen: Einerseits treten wir den miesen Maschen entgegen, mit denen von städtischer und privater Seite versucht wird, in sog. „Beteiligungsverfahren“ Protest über den runden Tisch zu ziehen. Andererseits werden wir uns weiterhin mit denjenigen solidarisieren, die nicht ins Bild der Kreativen Stadt Marke Hamburg passen und denen ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verweigert wird.
Und schließlich wird die Rote Flora in ihrem sperrigen Format auch immer wieder Störfaktor in der ökonomischen Verwertung des lokalen Stadtraumes sein. Als explizit anti-kommerzieller Ort steht sie auch denjenigen offen, die sich das Schanzenviertel schon lange nicht mehr leisten können. Und als Bezugspunkt für die politischen Kämpfe im und um den Stadtteil ist sie nicht nur konsumierbarer Standortfaktor wider Willen, sondern zugleich symbolischer Bruch mit den Verhältnissen und Unruhestifterin in der Abwicklung und Veredelung des Gentrifizierungsprozesses.
Die kommenden Kämpfe
Ausgangspunkt politischer Intervention, raumgreifender Widerspruch und schwarzes Loch in der herrschenden Eigentumsordnung – nur im Konflikt mit den Verhältnissen ist die Rote Flora zu haben. Deshalb betrachten wir die anstehenden Auseinandersetzungen um die Zukunft des Projekts weniger als Bedrohung denn als Chance, den Würgegriff der herzlichen Umarmung aufzubrechen und die Rote Flora erneut mit ihrem ganzen steingewordenen und symbolischen Gewicht in die kommenden Kämpfe um ein Recht auf Stadt zu werfen.
Wir werden uns, sollte es soweit kommen, weder widerstandslos von der Polizei aus dem Gebäude räumen lassen, noch unseren Widerstand in Moderationsverfahren selbst aus unseren Köpfen räumen.
Stattdessen wollen wir die Situation dazu nutzen, mit der politischen Idee Flora innerhalb der gegenwärtigen sozialen Bewegungen für die Aneignung der Städte zu einem linken, radikalen Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Veränderung zu werden. Es geht u. a. darum, politische Bedingungen zu schaffen, unter denen das Projekt weiterhin durchsetzbar ist und die die Spielräume für emanzipatorische Gesellschaftsentwürfe und Aneignungspraxen erweitern.
Dabei ist die Flora Bestandteil unterschiedlicher Kämpfe: von den Protesten gegen Ausgrenzung, Vertreibung und Gentrifizierung im Schanzenviertel über die Auseinandersetzung um Bambule und die vielgestaltigen Aktivitäten für ein Recht auf Stadt in ganz Hamburg bis hin zu politischen und sozialen Bewegungen in vielen anderen Städten und Regionen. Seien es die Kämpfe um das autonome Projekt Ungdomshuset in Kopenhagen, die durch ihren politischen Charakter und ihre militanten Formen internationale Bedeutung erlangt haben. Oder seien es die Aufstände in Griechenland, die uns auch hier in Hamburg bewegen, weil sie ein Begehren nach radikalen gesellschaftlichen Veränderungen zum Ausdruck bringen.
Zukunft ist für uns keine schale Metapher kapitalistischer Modernisierung, sondern ein umkämpfter Ort der Emanzipation – und wir sind mittendrin. Daher gibt es keinen Grund abzuwarten, die Dinge in Bewegung zu setzten. Die Kampagne „Flora bleibt unverträglich“ hat bereits begonnen. Wir fordern alle auf, die Flora als offenen Raum der Auseinandersetzung zu begreifen und sich diesen von den eigenen Standpunkten und Sprechorten aus anzueignen. Platz ist für vielfältige Inhalte und Aktionsformen, deren Gemeinsamkeit in dem Begehren besteht, den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen die Pflege und Kultivierung von Störfaktoren sowie die selbstbestimmte Aneignung des Lebens entgegenzusetzen.
Kampagne „Flora bleibt unverträglich!“ und
Plenum der Roten Flora, Februar 2011
Organisiert euch und werdet Teil der Kämpfe!
Infos: http://florableibt.blogsport.de